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IG Metall
Baden-Württemberg

Internetangebot der IG Metall Baden-Württemberg für Ingenieure und technische Experten

Aktuelles zur Hochschulreform

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22.10.2010 Seit Beginn des Bologna-Prozesses wurden eine Vielzahl reformerischer Maßnahmen angestoßen. Ein gewerkschaftliches Gutachtennetzwerk bilanziert Umsetzung und macht Vorschläge zur Weiterentwicklung.

Gewerkschaftliches Gutachternetzwerk
Positionen zum Stand der Umsetzung des Bologna-Prozesses an
den deutschen Hochschulen
und zur Weiterentwicklung von Studium und Qualitätssicherung
In den mehr als 10 Jahren seit Beginn des Bologna-Prozesses sind bedeutende studienreformerische
Maßnahmen angestoßen worden. Trotzdem wurden wichtige Ziele wie die
. Verbesserung der beruflichen Qualifizierung,
. Durchlässigkeit im Kontext des lebensbegleitenden Lernens,
. nationale wie internationale, horizontale wie vertikale Mobilität sowie
. Studierbarkeit von Studiengängen und
. nachhaltige, alle gesellschaftlichen Kräfte beteiligende Qualitätssicherung
noch nicht erreicht.
Das Gutachternetzwerk will dazu beitragen, spezifische gewerkschaftliche Sichtweisen einzubringen,
um Studiengänge und Studienbedingungen entsprechend zu gestalten.
1. Ziele des Gutachternetzwerks
Gewerkschaften haben sich in die Diskussion um die Realisierung der im Bologna-Prozess
entwickelten politischen Ziele und um die Ausgestaltung der Maßnahmen und Instrumente
von Beginn an intensiv eingebracht. Ebenso haben sie sich im Rahmen des gewerkschaftlichen
Gutachternetzwerks an Akkreditierungen und Re-Akkreditierungen sowie an der Weiterentwicklung
des Akkreditierungswesens beteiligt.
Besondere Schwerpunkte ihres Engagements waren
Verbesserung von Studium und Lehre
Verbesserung orientiert sich an einem an Lernergebnissen ausgerichteten, kompetenzorientierten
und Theorie wie Praxiserfahrungen integrierenden und reflektierenden Studium. Studierbarkeit
muss durch hohe didaktische Qualität und ein im Hinblick auf die Wissenschaft
und gesellschaftliche Praxis reflektierendes, praxisorientiertes, mit hohen Selbststudienanteilen
ausgestattetes Studium gewährleistet werden. Die Lehrveranstaltungspraxis muss auf
einer realistisch vertretbaren studentischen Arbeitsbelastung aufbauen, und Prüfungsanteile
müssen auf ein erforderliches Minimum reduziert werden. Sie soll anknüpfen an berufliche
Vorerfahrungen der Studierenden und Freiräume für eigenverantwortliches Lernen gewährleisten.
Darüber hinaus gilt es, Prüfungen kompetenzorientiert auszugestalten.
Erleichterung der sozialen Durchlässigkeit
Zur Verbesserung der sozialen Durchlässigkeit gehört die Ausgestaltung des Hochschulzugangs
für Berufserfahrene mit den dafür notwendigen curricularen Konsequenzen, die hete

www.gutachternetzwerk.de Seite 2/9
rogene Eingangsvoraussetzungen berücksichtigende Gestaltung der Studieneingangsphase
und die Bereitstellung qualifizierter Information und Beratung. Berufserfahrung muss darüber
hinaus in den von der Kultusministerkonferenz bereits 2002 und von ANKOM1 entwickelten
Maßstäben und Verfahren in allen Studiengängen endlich angerechnet werden.
Sicherung des Erwerbs umfassender Handlungskompetenz - Studium als wissenschaftliche
Berufsausbildung
Das Ergebnis eines guten Studiums besteht für die Gewerkschaften im Erwerb umfassender
beruflicher Handlungskompetenz. Den Weg zu diesem Ergebnis haben die Gewerkschaften
- orientiert an den Qualifikationszielen des Akkreditierungsrats2
. wissenschaftliche oder künstlerische Befähigung,
. Befähigung, eine qualifizierte Erwerbstätigkeit aufzunehmen,
. Befähigung zum zivilgesellschaftlichen Engagement
. und Persönlichkeitsentwicklung -
in ihrem gewerkschaftlichen Argumentationspapier "Studium als wissenschaftliche Berufsausbildung"
3 ausführlich dargestellt. Umfassende berufliche Handlungskompetenz lässt sich
daran messen, "ob die Studierenden befähigt werden, in einer global vernetzten, arbeitsteiligen
Welt in ihrer künftigen Berufstätigkeit sozial, ökologisch und ethisch verantwortlich und
kompetent handeln zu können"4.
Sicherung der finanziellen und personellen Rahmenbedingungen
Zur Qualität von Studium und Lehre gehören aus Sicht des Gutachternetzwerks immer auch
die Rahmenbedingungen hochschulischer Lehre. Diese umfassen die personelle und materielle
Ausstattung von Hochschulen und die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen der dort
Beschäftigten, aber auch die finanziellen Belastungen der Studierenden durch Studiengebühren,
Lebenshaltungskosten u.a.m. Die in Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerks
deutlich beschriebenen Probleme der sozialen Lage der Studierenden müssen bei der
Bewertung der Studienqualität berücksichtigt werden.
Umfassende Qualitätssicherungssysteme
Die Qualität von Studium und Lehre kann nur verbessert werden, wenn die Hochschulen zu
öffentlich transparenten und mitgestalteten Maßnahmen der Qualitätsentwicklung und
-sicherung verpflichtet sind. Diese müssen geeignet sein, einen Prozess der permanenten
Verbesserung des Lehrangebots und der Lernarrangements anzustoßen und aufrecht zu
erhalten. Die Beteiligung von Studierenden und Berufspraxis, einschließlich von Gewerkschaften,
in den Verfahren ist unerlässlich.
2. Derzeitige Widersprüche im Bologna-Prozess
Die im Rahmen des Bologna-Prozesses bei den Konferenzen auf internationaler Ebene vereinbarten
Ziele zur Schaffung eines europäischen Hochschulraumes wurden und werden
1 ANKOM = Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge (Initiative des BMBF)
2 Regeln des Akkreditierungsrates für die Akkreditierung von Studiengängen und für die Systemakkreditierung
(08.12.2009);
http:www.akkreditierungsrat.de/fileadmin/Seiteninhalte/Startseite/Beschluss_Akkreditierung_Studiengaenge_Sy
steme_08_12_09.pdf
3 Hans-Böckler-Stiftung; Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie; Industriegewerkschaft Metall; ver.di -
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Hrsg.): Studium als wissenschaftliche Berufsausbildung, Berlin, Düsseldorf,
Frankfurt am Main, Hannover - Oktober 2009;
http:
www.gutachternetzwerk.de/gutachternetzwerk/file_uploads/studium_als_wissenschaftl._ausbildung_09.pdf
4 ebenda S. 13

von Gewerkschaften unterstützt. Die Vergleichbarkeit gestufter Studiengänge und -abschlüsse,
die gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen und Studienleistungen auf der Grundlage
einheitlicher Qualitätsstandards, die Aufnahme der europäischen Dimension in die Hochschulbildung,
die Erhöhung der Mobilität der Studierenden, die Überwindung der Benachteiligung
bestimmter Gruppen und Schichten an höherer Bildung sowie die Erhöhung der
Durchlässigkeit des Hochschulsystems als Teil des Bildungssystems insgesamt stimmen mit
gewerkschaftlichen Vorstellungen und Forderungen überein. Der Bologna-Prozess dient, wie
andere bildungspolitische Prozesse und Initiativen in Europa (Kopenhagen, EQR, OECD,
u.a.), auch der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschaftsraums.
Dieser Prozess wiederum ist widersprüchlich, er verfolgt jedoch auch wichtige arbeitsmarktpolitische
und soziale Ziele.

Durch den Bologna-Prozess wurde erstmalig ein abgestimmtes Handeln von fast 50 Staaten
in Europa und darüber hinaus auf dem Gebiet der höheren Bildung initiiert. Auf der nationalen
Ebene wurden wesentliche Entwicklungen angestoßen oder befördert. Insofern ist der
Bologna-Prozess ein Erfolg.

Aber sowohl auf der europäischen wie auf der nationalen Ebene finden sich Widersprüche:
Ziele der Bologna-Erklärung bzw. ihrer Nachfolgekonferenzen werden in den Nationalstaaten
noch bei weitem nicht einheitlich umgesetzt. Das betrifft u.a. die Qualifikationsziele, die Ausgestaltung
des Leistungspunktsystems und des Prüfungswesens. Die mangelnde Umsetzung
der Lissabon-Konvention5 erschwert die Durchsetzung der angestrebten Ziele einer
gegenseitigen Anerkennung von Studienleistungen, Studiengängen und Abschlüssen und
somit die angestrebte erhöhte Mobilität von Studierenden sowie Absolventinnen und Absolventen.

Die Widersprüche setzen sich auf der nationalen Ebene fort: Einzelne Aspekte der Struktur-
vorgaben der Kultusministerkonferenz sind nicht eindeutig und werden zum Teil durch die
länderspezifischen Vorgaben konterkariert. Die Definition der Akkreditierungsverfahren durch
den Akkreditierungsrat und ihre Durchführung durch die Agenturen ist vielfach umstritten.
Hochschulen haben vielerorts bisher die Studienprogramme nur formal auf die neuen Abschlüsse
umgestellt, wichtige Gestaltungselemente von Studienprogrammen bleiben bisher
unberücksichtigt. Die Qualität von Studium und Lehre hat sich bis auf Ausnahmen nicht
grundlegend verbessert. Darüber hinaus hat Deutschland insbesondere in der quantitativen
und qualitativen Ausgestaltung der sog. "Recognition of prior Learning" einen im Vergleich zu
anderen Staaten erheblichen Nachholbedarf.

3. Stand der Studien(struktur)reform
Die Bilanz der Umstellung auf die neue gestufte Studienstruktur Bachelor und Master fällt
zwiespältig aus:

Einerseits wurde dadurch das Umdenken und Umsteuern von ‚Input‘-Ansätzen zu kompetenz-
bzw. outcome-orientierten Ansätzen und zum Wechsel von der Lehr-zur Lernorientierung
angestoßen. Viele Hochschulen und zahlreiche Fachgebiete waren angehalten, sich
(zum großen Teil erstmals) Gedanken über den Zweck des Studiums, der über den verengten
Blick auf die eigene Fachdisziplin hinausreicht, und über die berufliche Zukunft ihrer Absolvent/
innen zu machen. Die seit langem (auch im ‚alten System‘) überfällige inhaltliche und
didaktische Studienreform erhielt einen Anstoß und eine neue Chance. Starre Schemata
konnten durch kreative, flexible Gestaltungsmöglichkeiten - auch struktureller Art - abgelöst
werden. Positive Beispiele existieren. Die mit der Reform verbindlich vorgesehene Transparenz
der Studienangebote legt Positives wie Negatives offen.

5 Gesetz zum Übereinkommen vom 11. April 1997 über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich
in der europäischen Region

www.gutachternetzwerk.de Seite 3/9

www.gutachternetzwerk.de Seite 4/9
Wie allerdings in vielen Hochschulen und Fachkulturen, aber auch durch Landesministerien,
mit den Reformansätzen umgegangen wurde, hat dazu geführt, dass die Studienstrukturreform
weitreichende Klagen bei Studierenden und Hochschullehrer/innen nach sich zog. Nach
wie vor trifft sie in großen Teilen derWirtschaft und Gesellschaft auf Skepsis.
Die quantitative Umstellung ist nahezu vollzogen: Die deutschen Hochschulen bieten knapp
11 000 Bachelor- und Masterstudiengänge an6; dies sind 81 Prozent aller Studiengänge7. Im
Bereich der Ingenieur- und Naturwissenschaften sind mehr als 90 Prozent der Studiengänge
umgestellt. Mehr als die Hälfte der neuen Studiengänge ist akkreditiert. Fast drei Viertel aller
Erstsemesterstudierenden schreiben sich in einem Bachelor- oder Masterstudiengang ein7.
Es gibt weiterhin Unterschiede in der Akzeptanz und in der Umstellungspraxis zwischen
Fachhochschulen und Universitäten sowie zwischen den Bundesländern im Süden und dem
Rest der Republik. Darüber hinaus sind Berufsbegleitende, Weiterbildende und Teilzeit-
Studiengänge im Sinne eines lebensbegleitenden Lernens immer noch die Ausnahme.
Die Studienrealität wird teilweise und zu Recht drastisch kritisiert: Während in einigen Fachdisziplinen
der Studienabbruch rückläufig ist, hat er z.B. im Bereich der ingenieurwissenschaftlichen
Studiengänge sogar noch zugenommen. Kritisiert werden vor allem Probleme
der Studierbarkeit sowie die mangelnde Umsetzung des für die Gewerkschaften wichtigen
Kriteriums der beruflichen Qualifizierung. Die Mobilität hat insbesondere in den Bachelorstudiengängen
nicht zu- sondern durch die straffe Ausgestaltung der Studienstruktur der einzelnen
Studienprogramme eher abgenommen. Studierende beklagen die Überfrachtung der
Studienprogramme, die in der Hochschulpraxis nicht oder unzureichend geregelte Anerkennung
von Studienleistungen und fehlende oder mit strukturellen Mängeln behaftete Praxisphasen.
Das Gutachternetzwerk nimmt diese Kritik sehr ernst und fordert insbesondere die Hochschulen
zu einer massiven Korrektur auf. Für die neuen Studiengänge bedeutet dies, dass
. sie sowohl beim Zugang zum Bachelor- wie beim Zugang zum Master-Studium sozial
durchlässig gestaltet werden müssen,
. sie auch offen für Berufserfahrene ohne Abitur sein müssen,
. beruflich erworbene Kompetenzen im Studium angerechnet werden können,
. sie in ein Konzept lebensbegleitenden Lernens eingebunden werden sollen,
. die Übergänge zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem offen und transparent
gestaltet werden müssen.
Zum Teil geht die Kritik aber in die falsche Richtung. Anstatt die neuen Studiengänge qualitätsvoll
zu gestalten und die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, fordern einige
Verbände und Hochschulen die Rückkehr zur alten Studienstruktur. Seien es die Stellungnahmen
der TU 9 und ARGE TU/TH, die parallel zum gestuften Studiensystem Bachelor-
/Master den Universitäten (nicht den Fachhochschulen!) die Beibehaltung des Diplomabschlusses
gestatten wollen bzw. auf die Wiedereinführung eines 10-semestrigen Diplomstudiengangs
drängen, sei es der konservative Deutsche Hochschulverband (DHV), der seine
Mitglieder auffordert, sich nicht mehr an den Akkreditierungsverfahren zu beteiligen, der den
Diplomabschluss erhalten wissen will und sich im Schulterschluss mit Studierenden sieht, die
ebenfalls massive Korrekturen einfordern. So hat sich eine in der Öffentlichkeit irritierende
Nähe zwischen denen heraus gebildet, die von Anfang an jede Reform ablehnten und jenen,
die von der jetzigen Reform und insbesondere ihrer Durchführung enttäuscht wurden.
6 Quelle der Daten: HRK;
http://www.hrk.de/de/download/dateien/HRK_StatistikBA_MA_SoSe_2010_finale_mit_Cover.pdf
7 insbesondere medizinische und juristische Fachgebiete und Studiengänge sind bisher von der Umstellung ausgenommen

4. Reaktionen des Arbeitsmarkts
Untersuchungen über die quantitativen und qualitativen Beschäftigungspotenziale der neuen
Abschlüsse stehen noch am Anfang. Verallgemeinernde Aussagen sind daher mit einer relativ
großen Ungenauigkeit verbunden. Die folgenden Aussagen stützen sich daher im Wesentlichen
auf Tätigkeitsfelder in der Metall-und Elektroindustrie. In anderen Bereichen kann
sich die Situation durchaus differenzierter und problematischer darstellen. Im Wesentlichen
dreht sich diese Debatte um die beiden Aspekte der qualifiaktionsgerechten Beschäftigung
und die einer adäquaten Vergütung.

Nach den bisher vorliegenden Veröffentlichungen und Erfahrungen lässt sich insbesondere
im Bereich der Ingenieur-und Naturwissenschaften sagen, dass es nicht zu einem gelegentlich
befürchteten Ersatz von Facharbeiterinnen und Facharbeitern durch Bachelorabsolventinnen/-
absolventen gekommen ist. Es gibt Bachelorabsolventinnen / -absolventen, die mit
Sachbearbeitertätigkeiten betraut wurden, die Mehrzahl scheint aber in Tätigkeitsfeldern und
Verantwortungsstufen, die den bisherigen Abschlüssen vergleichbar sind, eingesetzt zu werden.
Die Einstiegsgehälter von Bachelor-und Masterabsolventinnen und -absolventen orientieren
sich in etwa an den Einstiegsgehältern von Absolvent/innen bisheriger Diplomstudiengänge.
Eine Untersuchung des Institutes der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass die überwiegende
Mehrzahl der befragten Unternehmen Bachelorabsolventen/innen als Akademikerinnen
und Akademiker einsetzt. Im Unterschied zum Master werden Bachelorabsolventen/
innen häufiger produktionsnah eingesetzt, Masterabsolventen/innen häufiger in Forschung
und Entwicklung, wobei sie hier in Konkurrenz zu Promovierten stehen. Die jährlich
von der IG Metall durchgeführte Analyse der Einstiegsgehälter zeigt, dass dort, wo Tarifverträge
zur Anwendung kommen, Bachelorabsolventen/innen im Durchschnitt knapp unterhalb
der Einstiegsgehälter von FH-Diplom-Absolvent/innen liegen und das Einstiegsgehalt des
Masters in etwa dem des Universitäts-Diploms entspricht. Damit hat sich zumindest in diesen
Bereichen eine "Faustformel" durchgesetzt, die auch die Gewerkschaften in ihrer Tarifpolitik
verfolgen: der Bachelor entspricht dem FH-Diplom, der Master dem Uni-Diplom. Auch in den
ver.di-Tarifverträgen für den öffentlichen Dienst ist dieses entsprechend umgesetzt.

Trotzdem ist eine Reihe von Problemen nicht geklärt. Personalabteilungen sind nach wie vor
unsicher, was sie von Bachelor-und Masterabsolventen/innen erwarten dürfen. Defizite werden
insbesondere im Bereich der beruflichen Qualifizierung gesehen - wobei die Bachelorabsolventen/
innen von den Universitäten schlechter abschneiden als die von den Fachhochschulen.
Unklar ist auch weiterhin, ob die Bachelorabschlüsse nicht mit den Fortbildungsberufen
(Techniker/in, Meister/in, Betriebswirt/in u. dgl.) kollidieren und ob sie im Bereich der
Betriebswirtschaft (BWL) nicht doch zu Lasten der kaufmännischen dualen Ausbildung gehen.
Aus Sicht der Gewerkschaften ist neben umfassender beruflicher Qualifizierung ein auf
Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit beruhendes Bildungs-und Beschäftigungssystem unbedingt
zu fördern und zu fordern.

5. Bilanz der Akkreditierung
Für einen Großteil der kritisierten Tatbestände wird die Akkreditierung verantwortlich gemacht.
Dabei wird einerseits bewusst ausgeblendet, dass die Ausgestaltung aller Studiengänge
in der Verantwortung der Hochschulen erfolgt. Der Akkreditierung kommt nur eine
unterstützende ‚Sicherungsfunktion‘ zu. Andererseits wird übersehen, dass durch die Akkreditierung
die Qualität eines Studienganges als Ganzes und nicht nur die seiner Einzelbestandteile
(z. T. einzelne Lehrveranstaltungen) in den Blickpunkt gestellt werden muss und
dass sich die Hochschulen und die Hochschullehrer/innen damit auseinandersetzen müssen.
Erst durch die Akkreditierung erhielt systematische und systemische Qualitätssicherung und
-entwicklung an fast allen Hochschulen einen Platz oder führte zumindest zu entsprechenden
innerhochschulischen Diskussionen.

www.gutachternetzwerk.de Seite 5/9

www.gutachternetzwerk.de Seite 6/9
Aus gewerkschaftlicher Sicht ist positiv hervorzuheben, dass die Beteiligung von Beschäftigten,
Studierenden und Berufspraxis an der Studienreform und an der Qualitätssicherung und
-entwicklung formal noch nie so umfassend geregelt war wie durch die Akkreditierung.
Trotzdem müssen sich das Akkreditierungssystem und die Akkreditierungspraxis einige Kritik
gefallen lassen.
Das Ziel der Akkreditierung sollte nicht nur darauf gerichtet sein, die Realisierung der neuen
Studienstrukturen und die Erfüllung vorwiegend formaler Anforderungen der Kultusministerkonferenz
und des Akkreditierungsrates zu bewerten. Die Akkreditierung muss vielmehr entscheidend
dazu beitragen, die von den Hochschulen zu leistende inhaltliche und methodische
Studienreform zu unterstützen.
Daran gemessen wurde auch mit Hilfe des neuen Akkreditierungssystems trotz aller Maßnahmen
- seien es die Vorgabe der Akkreditierungskriterien für die neuen Studiengänge, die
Definition von Akkreditierungsverfahren oder die Akkreditierung von Akkreditierungsagenturen
(einschließlich der Arbeit der Gutachter/innengruppen) - bisher wesentliche Ziele einer
inhaltlichen Studienreform nicht erreicht.
Die Kritik lässt sich in folgende vier Problembereiche bündeln:
. Die von der Kultusministerkonferenz in den Strukturvorgaben empfohlenen Ziele und
Rahmendaten für die Konzipierung von neuen Bachelor- und Masterprogrammen sowie
die darauf fußenden Kriterien des Akkreditierungsrates für die Akkreditierung der
Studienprogramme werden vielfach nicht konsequent angewandt. Hochschulen und
Akkreditierungsagenturen schaffen sich in wichtigen Bereichen Interpretations- und
Gestaltungsspielräume, die immer noch dazu genutzt werden, weiterhin "alten Wein
in neue Schläuche" zu füllen.
. Wegen der Kritik, dass viele, vor allem Bachelor- Studiengänge nicht studierbar seien,
hat der Akkreditierungsrat die diesbezüglichen Kriterien geschärft. Ob diese
Schritte ausreichen, wird sich in der Praxis erst noch zeigen müssen. Bezüglich der
Berufsqualifizierung der Abschlüsse ist das Qualifikationsziel "Befähigung, eine qualifizierte
Erwerbstätigkeit aufzunehmen" weiterhin zu unspezifisch. Die im Rahmen der
Reakkreditierung zu überprüfenden Absolventen-Verbleibsstudien sind ein notwendiger
aber nicht hinreichender Schritt für den Nachweis, ob die Qualifikationsziele und
ein entsprechender Kompetenzerwerb erreicht worden sind. Etliche Kriterien bedürfen
im Übrigen weiterer Erläuterungen, insbesondere im Hinblick auf berufsbegleitende,
weiterbildende, Teilzeit- und Intensiv-Studiengänge sowie bezüglich der notwendigen
sozialen Öffnung der Hochschulen.
. Die vom Akkreditierungsrat und den Agenturen entwickelten Verfahren reichen zwar,
um die formale Umsetzung der Vorgaben zu überprüfen. Sie drängen aber gegenüber
den Agenturen einerseits und den Gutachter/innengruppen andererseits nicht
entschieden genug darauf, auch die reale Studier- und Prüfungspraxis zum Gegenstand
der Erörterung zu machen.
. Gutachter/innen in den Akkreditierungsverfahren sind noch immer nicht ausreichend
qualifiziert, so dass die Begutachtung weiterhin oft auf der Basis des in der Gruppe
kulminierten Erfahrungswissens sowie des informellen Kodex' der jeweiligen Fachkultur,
nicht aber auf der Basis zu erreichender Lernergebnisse und zu erwerbender
Kompetenzen sowie den damit verbundenen didaktischen Konzepten erfolgt.
Die Gewerkschaften haben überdies mehrfach eine Verbesserung der Rahmenbedingungen
für ehrenamtlich tätige Gutachter/innen angemahnt. Es ist ihnen nicht zuzumuten, dass sie
über ihr tatkräftiges Engagement in den Verfahren oder den Arbeitsgruppen und Kommissionen
der Agenturen hinaus durch eigene geldwerte Beiträge wie die Inanspruchnahme von
Urlaub oder Überstundenabbau die staatliche Aufgabe der Qualitätssicherung unterstützen.

www.gutachternetzwerk.de Seite 7/9
6. Weiterentwicklung der Akkreditierung
Nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 16.4.20108, die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einzuholen, ob die Regelungen des nordrheinwestfälischen
Hochschulgesetzes zur Akkreditierung von Studiengängen mit dem Grundgesetz
vereinbar ist, d.h. ob die gesetzliche Grundlage der Akkreditierung über das Stiftungsgesetz
NRW ausreicht, ist damit zu rechnen, dass das Bundesverfassungsgericht Korrekturen
von den Gesetzgebern in Bund und Ländern fordern wird. Der Ausgang des Verfahrens
und die Ergebnisse sind aber noch nicht absehbar. Dennoch rechnen inzwischen vor allem
auch diejenigen, denen die Akkreditierung schon immer ein Dorn im Auge war, damit, dass
sich das Hochschulwesen in ihrem Sinne (zurück)verändern wird. Die Flut der Stellungnahmen
und "Verbesserungsvorschläge" wird zunehmend unübersichtlich.
Das Gewerkschaftliche Gutachternetzwerk befürwortet die im Rahmen des Bologna-
Prozesses vereinbarte Qualitätssicherung und tritt für deren Beibehaltung und Weiterentwicklung
unter Anwendung folgender Prinzipien ein. Es ist festzuhalten an:
. einem externen Qualitäts-Sicherungssystem in öffentlicher Verantwortung,
. der Beteiligung von Lehrenden und anderen Hochschul-Angehörigen, Vertretungen
der Berufspraxis (einschließlich der Gewerkschaften) und Studierenden auf allen
Ebenen der Qualitätssicherung und Akkreditierung,
. der Forderung nach qualifizierten und gut geschulten Gutachterinnen und Gutachtern
(incl. der Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung für die ehrenamtlich tätigen
Gutachter/innen),
. einer inhaltlichen und methodischen Studienreform der Studienprogramme entlang
der Kriterien von umfassender beruflicher Qualifizierung und Studierbarkeit,
. bundeseinheitlich geltenden Regeln und Kriterien für Qualitätssicherungssysteme,
. Qualitäts-Sicherung als kontinuierlichem Prozess,
. einem deutlichen Bezug der Qualitätssicherung auf die Studienprogramme.
Trotz anhängiger Gerichtsentscheidungen wird die gegenwärtige Praxis noch einige Zeit
wirken. Um die Qualität von Studium und Lehre weiter zu entwickeln, müssen daher auch
das Akkreditierungssystem und die Verfahren der Programm- und System-Akkreditierung
weiter entwickelt werden. Die im Gutachternetzwerk beteiligten Gewerkschaften und Organisationen
fordern daher
von der KMK
. Gelöst werden muss das z.T. widersprüchliche Nebeneinander gemeinsamer Strukturvorgaben
durch die Kultusministerkonferenz und zusätzlicher, zum Teil davon abweichender
länderspezifischer Vorgaben, die bis in die oft von Land zu Land unterschiedliche
Regelung von Details reichen.
. Die bisherige Akkreditierungspraxis ist wissenschaftlich zu evaluieren und die Weiterentwicklung
der Akkreditierung durch Forschungsprojekte zu begleiten.
vom Akkreditierungsrat
. Das Verhältnis von Akkreditierung und kollegialer Beratung durch Gutachtergruppen
und Agenturen während der Audits muss überprüft werden. Es gilt, Modelle zu entwickeln,
durch die die Erhöhung der Qualität von Studium und Lehre als gemeinsame
Aufgabe von Hochschulen und externer Qualitätssicherung, von Akkreditierten und
Akkreditierern verstanden wird.
8 http:www.vg-arnsberg.nrw.de/presse/pressemitteilungen/16_100628/index.php

www.gutachternetzwerk.de Seite 8/9
. Insgesamt muss die Arbeit von Akkreditierungsrat und Agenturen politischer werden,
d.h. über ihre Arbeit muss noch breiter und tiefer und zur Diskussion anregend informiert
werden. Der Akkreditierungsrat sollte auch im Rahmen der ihm gegebenen
Aufgaben stärker gegenüber der KMK und den Ländern in Erscheinung treten, d.h. er
sollte das in seinen Beschlüssen und Empfehlungen gesammelte Experten- und Erfahrungswissen
selbstbewusst vertreten. Er sollte gegenüber den Agenturen nicht nur
in seiner kontrollierenden sondern vor allem in einer koordinierenden Funktion gestärkt
werden. Er müsste darauf achten, dass einerseits seine Beschlüsse konsequent
und durch die Agenturen einheitlich und konsistent umgesetzt und andererseits
die Agenturen verstärkt in die Meinungsbildung einbezogen werden. Damit der Akkreditierungsrat
die ihm zugemessenen Aufgaben in hoher Qualität erfüllen kann, ist er
entsprechend personell und finanziell auszustatten.
von den Akkreditierungs-Agenturen
. Die jetzt anlaufenden Verfahren der Re-Akkreditierung müssen zum Prüfstein für
Hochschulen und Akkreditierungsagenturen gemacht und mit aller Sorgfalt durchgeführt
werden. Dazu sind die Gutachter/innen gründlich zu schulen und mit den neuen
Anforderungen vertraut zu machen.
. Bei der Akkreditierung ist künftig das Augenmerk auf die Verbindung struktureller mit
inhaltlichen und methodischen Fragen zu richten. Hierzu gehört, dass ein Studiengang
insgesamt aus den Qualifikationszielen abgeleitet ist und seine Module einzeln
und in ihrer Kombination damit überein stimmen. Die berufliche Qualifizierung sowie
die Studierbarkeit sind ebenso wie die Möglichkeit der studentischen Mobilität, z. B.
durch strukturelle Elemente und die problemlose gegenseitige Anerkennung erbrachter
Studienleistungen, durch die Hochschule nachzuweisen und in der Akkreditierung
zu prüfen.
. Die Beteiligung der Studierenden und der Berufspraxis hat sich bewährt; sie muss
weiter entwickelt werden. Für die aus den Gewerkschaften kommenden Gutachter/
innen heißt dies, dass ihr Anteil an den Verfahren erhöht und ihre Freistellungsmöglichkeiten
verbessert werden müssen. Nur wenn dies gewährleistet ist, wird es zu
dem von den Gewerkschaften erhofften Dialog zwischen Hochschulen und Gesellschaft
zur Qualität von Studium und Lehre kommen.
. Auch in Zukunft muss durch die Akkreditierung, unabhängig von deren Methode (z. B.
Programm- oder Systemakkreditierung) im Kern geprüft werden, ob in jedem Studiengang
die Qualifikationsziele erreicht werden.
. Die Akkreditierungsagenturen haben zu gewährleisten, dass alle Kriterien des Akkreditierungsrates
geprüft werden. Sie dürfen keine zusätzlichen erlassen oder Hochschulen
weiter gehende Vorschriften machen.
7. Perspektiven
Die Beschlüsse der Kultusminister vom 04.02.20109 und des Akkreditierungsrates 2,10 eröffnen
Spielräume für Studienreform (mehr Durchlässigkeit, Verbesserung der Studierbarkeit,
mehr Klarheit bei den Prüfungen). Sie reichen aber nicht aus, da wichtige Themen, wie die
berufliche Qualifizierung, die Förderung berufsbegleitender Studiengänge, die Anrechnung
beruflicher Kompetenzen im Studium, nicht aufgegriffen wurden. Das Gutachternetzwerk
9 Ländergemeinsame Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen;
http:
www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2003/2003_10_10-Laendergemeinsame-
Strukturvorgaben.pdf
10 Maßgaben zur Auslegung der ländergemeinsamen Strukturvorgaben (12.02.2010);
http://www.akkreditierungsrat.de/fileadmin/Seiteninhalte/Beschluesse_AR/2010_2_Massgaben_Laendergemeins
ame_Strukturvorgaben.pdf

fordert dazu auf, diese Spielräume aktiv zu nutzen und die Bedingungen dafür zu schaffen.
Insbesondere die Kultusministerinnen und -minister, der Akkreditierungsrat und die Hochschulen
werden aufgefordert, die Spielräume für mehr Studienreform zu erweitern und dafür
auch die materiellen und organisatorischen Bedingungen zu schaffen.

Für die weitere Arbeit des Gutachternetzwerkes ist entscheidend, dass die Umsetzung der
Bologna-Vorgaben die Chance für eine Verbesserung der Studienqualität ermöglicht. Sie soll
tatkräftig genutzt werden. Dazu gehört, sowohl Missstände zu benennen als auch eine gute
Praxis sichtbar zu machen und die Akteurinnen und Akteure in den Hochschulen zu guter
Praxis zu ermutigen.

Das Gutachternetzwerk und die es tragenden Gewerkschaften und Organisationen unterstützen
Studierende und viele Wissenschaftler/innen in wesentlichen Punkten ihrer Kritik an
der Umsetzung des Bologna-Prozesses. Sie wenden sich mit ihnen gegen eine einseitige
Orientierung der Lehre und des Studiums an der wirtschaftlichen Verwertung.

Wir meinen, dass selbst ein Studium, das sich vorrangig den Zielen der beruflichen Qualifizierung
verpflichtet sieht, wissenschaftliche Inhalte und Methoden reflektieren und Studieninhalte
entlang der im Bologna-Prozess vereinbarten Ziele der Persönlichkeitsbildung und
der Befähigung zum sozial, ökologisch und ethisch verantwortlichen und kompetenten Handeln
ausrichten kann und muss.

Die Entwicklung von mehr Studienqualität wird nur durch mehr Beteiligung aller am Studien(
struktur)reformprozess Mitwirkenden und Betroffenen möglich. Die Beteiligung von Gewerkschafter/
innen auf den verschiedenen Ebenen der Akkreditierung macht Sinn, weil damit
Effekte der Qualitätsverbesserung von Studium und Lehre zu erwarten sind.

Die das Gutachternetzwerk tragenden Gewerkschaften und Organisationen gehen davon
aus, dass diese Spielräume für Studienreformprozesse derzeit noch bestehen und genutzt
werden müssen. Ein Umsteuern, das die Qualität von Studium und Lehre an die erste Stelle
setzt, ist notwendig. Dafür müssen auch die materiellen und personellen Voraussetzungen in
den Hochschulen geschaffen werden!

Berlin, Düsseldorf, Frankfurt / M., Hannover, Magdeburg, 17. September 2010

www.gutachternetzwerk.de Seite 9/9

Ruth Fischer-Pusch
0711-16581-26

Letzte Änderung: 22.10.2010

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